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Generation (WH)Y

Aktualisiert: 18. Juni 2020


 

6:30Uhr der Wecker auf dem Smartphone klingelt. Ich drücke auf die Schlummertaste. 6:39Uhr und wieder nervt mich der Wecker. Ich schau, ob es sonst noch eine Nachricht auf dem Handy gibt und drücke wieder die Schlummertaste. Neun Minuten später, mit dem nächsten Alarm, bleibe ich dann aber wach. Greife sofort das Handy, schalte den Wecker aus und schaue erst einmal, wer mir alles geschrieben hat.


Mit Ach und Krach halte ich meine Augen auf, nachdem ich erstmal die Helligkeit des Handys auf die niedrigste Stufe reguliere. Eine Nachricht von Jakob. Er wollte gestern Abend anscheinend noch wissen, ob ich die Aufgaben für die Uni bearbeitet habe. „Natürlich nicht“, geht’s mir durch den Kopf. Aber ich antworte nicht.


zu müde zum Antworten, aber nicht zu müde, um es zu lesen“


Ich scroll weiter im WhatsApp-Messenger. Aylin hat mir auch geschrieben. Ob wir die Tage nicht etwas machen wollen, aber ich antworte ihr nicht. Ich bin zu müde zum Antworten, aber nicht zu müde, um es zu lesen – anscheinend. Der Rest scheinen nur ein paar halb wichtige Gruppendiskussionen zu sein. Die kann ich mir am Morgen nun wirklich nicht geben.


Es ist 7:05Uhr. Nach guten 20Minuten Morgen-Handyaktivität verlasse ich das Bett. Putze mir die Zähne und mache mir mein Müsli. Ein herzhaftes Müsli mit Bananen, Cranberries und Joghurt. Selbstverständlich esse ich das Müsli mit der rechten Hand und bediene das Smartphone mit der Linken. Ich lese die ein oder andere Schlagzeile in meinem Nachrichtenticker und wundere mich, wie verrückt diese Welt doch manchmal ist.


„In mir entsteht das Bedürfnis meinen Ärger zu posten“


Müsli gegessen, frisch gemacht und nun angezogen. Ein kurzes Foto vor dem Spiegel. „Nein, das sieht nicht gut aus. Noch einmal.“ Ich probiere es nochmal. „Ja, das ist schon besser.“ Hashtag nicht vergessen…# TGIF # OOTD. Und ab in die Story damit. Nun schnell die Bahn zur Uni bekommen.

An der Bahn Station angekommen, knallt mir die Nachricht der Bahnverspätung direkt ins Gesicht. Ich will mich sofort ärgern. Doch ich bleibe cool. In mir entsteht das Bedürfnis meine jetzige Situation zu posten. Am besten noch mit einem provokanten Hashtag à la # DankeDeutscheBahn. Doch ich unterlasse es. Eine Nachricht meines Kommilitonen Phillip erscheint auf meinem Display. Ich antworte ihm und vergesse für den Moment meinen Frust. Wenig später kommt dann auch die Bahn und ich steige ein.


Mein Spiegelselfie von zu Hause ist jetzt gute 30 Minuten alt. Allzu viele Leute haben es noch nicht gesehen. Doch oben rechts im Display leuchtet eine Nachricht auf. Jemand hat mein Selfie kommentiert. „Nice“, schreibt eine Freundin. Dopamin stößt durch mich hindurch. Ich scrolle weiter. Schaue, was andere so zu posten haben.


„Wie schnell die Zeit vergeht, wenn man online ist“


Ich bin vertieft ins Smartphone. So vertieft, dass ich fast verträumt hätte, an der richtigen Station auszusteigen. Aber alles gut, ich habe es noch geschafft. Kaum zu glauben, wie schnell die Zeit vergeht, wenn man Online ist. Ich war die ganze Bahnfahrt ins Smartphone versunken. Und selbst mein kleiner rechter Finger hat schon eine leichte Einkerbung, an der Stelle, an welcher ich das Handy immer abstütze.


Mein Uni-Alltag ist heute auch nicht besonders spannend. Ich langweile mich von Vorlesung zu Vorlesung. Nur mein Gewissen hält mich hier. „Ich könnte ja sonst etwas verpassen“, denke ich mir. Im Nachhinein passiert natürlich nie etwas Aufregendes. Doch der Fakt, dass heute Freitag ist, hält mich bei Laune.


Heute Abend schön in die Pizzeria Antonio mit all meinen Freunden. Man schreibt sich regelmäßig, aber oft sieht man sich leider nicht mehr. Der stressige Alltag holt einen halt früher oder später ein. Dafür wird heute Abend umso besser. Ich bin gespannt, was für Geschichten die anderen so zu erzählen haben.


„Mein vermeintliches High-Life mitteilen“


Endlich ist die Uni fertig. Und so schnell ich gekommen bin, so schnell verschwinde ich auch wieder. Die Bahn kommt diesmal pünktlich. Ich bin wieder vertieft ins Smartphone. Aber jede ein bis zwei Stationen hebe ich mal den Kopf, um zu sehen, wann ich denn aussteigen muss.


Ich surfe durch sämtliche Online-Shopping-Portale. Dabei habe ich keinerlei Absicht mir irgendetwas zu kaufen. Die ein oder andere Rabattaktion sieht schon verlockend aus. Doch ich belasse es dabei. Übrigens, haben seit heute Morgen fünf Leute auf mein Spiegelselfie in der Story positiv geantwortet. Und da werden noch ein paar Beiträge in die Story hinzugefügt. Schließlich ist Freitagabend. Und ich muss doch mein vermeintliches High-Life anderen mitteilen.


Zu Hause nochmal geduscht, angezogen und fertig gemacht. Einen Spritzer vom neugekauften Parfüm und ich fühl mich bereit für den Abend. Ich bin zufrieden mit meinem Outfit. So zufrieden, dass natürlich ein weiteres Foto von meinem Look gepostet wird. # FridayNight tippe ich ein. Ich nutze noch gerne einen Filter, um das Licht etwas zu kaschieren. Post ist hochgeladen und ich gehe los.


„Bevor ich probiere, lade ich aber noch das Bild hoch“


An der Pizzeria angekommen wundere ich mich, dass ich der Letzte bin. Dabei war ich doch nur zehn Minuten zu spät. Meine Freunde waren alle vorbildlich pünktlich. Zu fünft setzen wir uns an den vorher reservierten, Tisch. Die Pizzeria soll ausgezeichnet sein und hat auf sämtlichen Bewertungsportalen hervorragende Kritiken. Ich muss es wissen, da ich es auf meiner App selbst überprüft habe.


Wenig später kommen unsere bestellten Sachen und sie sehen atemberaubend aus. Es dauert nicht lange bis jeder sein Smartphone zückt und ein Foto von seinem Essen macht. Einer schießt ein Foto lediglich zur Erinnerung. Alle anderen posten ihr Essen unmittelbar auf sozialen Netzwerken. Auch ich mache ein Foto, um es direkt in meine heutige Story hinzuzufügen. Eine Pasta mit Rucola und einen Caprese-Salat dazu. Ich hoffe das schmeckt genauso gut, wie es aussieht. Bevor ich probiere, lade ich aber noch das Bild hoch.


Als ich gerade reinbeißen wollte, fragt Mia an unserem Tisch, ob der Kellner nicht ein Foto von uns allen machen könne. Ein freundliches „si certo kam hinterher und Mia übergab ihm ihr Handy. Der Kellner machte ein paar Abzüge von uns und überreichte das Handy zurück. Jeder starrte natürlich auf Mias Handy und wollte das Foto sehen. Zumindest wollte jeder sehen, wie gut/schlecht er selbst auf dem Bild aussah. Natürlich schickte Mia es in unsere WhatsApp Gruppe, sodass es jeder hat.


Ich habe es nicht gepostet. Ich habe auf dem Foto komisch geschaut, so dass ich mir nicht gut genug gefallen habe, als dass ich es posten möchte. Außerdem muss ich ja nicht jedes Bild posten. Jetzt will ich aber essen. Doch nun sind wieder alle am Handy. Das Essen steht schon seit zehn Minuten auf dem Tisch und noch keiner hat reingebissen.


Und neue Geschichten habe ich auch noch von keinem gehört…

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